Was meinst du, welches die häufigst gestellte Frage an mich ist? Du ahnst es schon, der Titel sagt genug. Aber dieser Titel gibt nur die Grundform vor. In der Praxis ist die Frage viel spezieller. Die lautet dann meist so: "Ich laufe am 25.05. in Rekordhausen meinen Frühjahrsmarathon und am 11.05. ist bei uns im Nachbarort Zukurzestrecke ein Halbmarathon. Den kann ich doch ruhig noch laufen oder?
Als Antwort grummele ich dann: "Nein, man läuft niemals 14 Tage vor einem Marathon einen Halbmarathon. 4 Wochen vorher wäre ein idealer Zeitpunkt, 21 Tage geht auch noch, aber niemals 2 Wochen vorher." Es ist kaum zu glauben, aber niemals wird gegen einen Rat von mir so stark argumentiert, wie gegen diese Regel.
"Aber bei Trainer Möchteschnell soll man sogar eine Woche vorher noch 10 km laufen und in der Zeitschrift "Achillesschweiß" hat gestanden, dass das der Weg zum persönlichen Rekord ist". Und jeder kennt einen, der einen kennt, bei dem es schon einmal geklappt hat.
Trainingssystem vor dem Marathon
Meine Argumente sind dann, weil mich meist Greif-Club-Mitglieder anrufen: "In den letzten acht Wochen vor dem Marathon trainieren wir, im Gegensatz zu anderen Empfehlungen, nach einem Trainingssystem mit einer Endbeschleunigung auf der 35 km-Runde." Und das läuft so:
1. Woche: 3 km Endbeschleunigung bis zum geplanten Marathon-Renntempo
2. Woche: 6 km Endbeschleunigung bis zum geplanten Marathon-Renntempo
3. Woche: 9 km Endbeschleunigung bis zum geplanten Marathon-Renntempo
4. Woche: Halbmarathon-Wettkampf
5. Woche: 12 km Endbeschleunigung bis zum geplanten Marathon-Renntempo
6. Woche: 15 km Endbeschleunigung bis zum geplanten Marathon-Renntempo
7. Woche: Keine Endbeschleunigung nur 35 km joggen
8. Woche: Marathon-Wettkampf
Jeder von uns kann sich vorstellen, dass so eine Vorbereitung sehr anspruchsvoll und belastend ist. Aber 15 km Endbeschleunigung sind lange nicht so anstrengend wie ein Halbmarathon-Wettkampf. Wenn man nun aber an diesem Wochenende 14 Tage vor dem dennoch die 21,1 km läuft, dann hat man im Hauptwettkampf keine besonders guten Karten.
Warum ist das so?
Das zu erklären, ist nicht gerade einfach. Dabei muss man nämlich nicht nur die harten Fakten betrachten, sondern sollte auch die Gefühle eines Läufers oder Läuferin mit einrechnen. In der Woche vor den HM denkt sich der Betroffene: "Ich kann diese Woche nicht mehr so hart trainieren, denn am Sonntag laufe ich die 21,1 km und da will ich gut aussehen.
Nach dem Rennen hat der Gute natürlich das Gefühl, dass er sich ausruhen muss, um sich vom Halbmarathon zu erholen. Ist dieses Gefühl verschwunden, ist er schon in der Woche vor dem Marathon mitten in der Taperphase.
Wenn es dann an den Marathonstart geht, dann hat er 3 Wochen lang schon nicht mehr richtig trainiert. Nun denn, er hat sich wenigstens gut ausgeruht, was bei Einigen sich manchmal als durchaus förderlich erweißt.
Förderlich ist aber nicht, dass er sich im HM den Hintern bis zum Hals aufreist, um eine gute Zeit zu laufen, die ihm das Selbstvertrauen im Marathon gibt. Das muss man vorher machen.
Leider verliert man durch solch einen harten Einsatz an seelischer und körperlicher Kampfkraft. Was immer dass auch ist, glaube mir, diese beiden Faktoren sind unglaublich wichtig, lasse sich aber nicht "fassen". Natürlich wirst du jetzt denken: Das mag ja wohl richtig sein, aber das gilt nicht für mich, denn ich bin anders.
Dann werden dir noch eine Masse Argumente einfallen, die meine Thesen widerlegen. Und du wirst auch Beispiele bringen können, dass es bei einigen doch geklappt hat. Das ist auch unbestreitbar so. Aber dennoch ist beweisbar, dass es in der Regel nicht gelingt in diesem Wettkampfrhythmus sicher überragende Resultate im Marathon zu erzielen.
Die oben beschriebene Denke haben wohl die meisten von uns. Ich war auch davon befallen. Mein Glaube, dass mein Körper unzerstörbar und meine Seele unverwundbar war, war unendlich groß. "Halbmarathon 14 Tage vor einem Marathon? Kein Problem, stecke ich weg, notfalls laufe ich noch einen eine Woche vorher! Pah!"
Insgesamt war uns in unserem Team von der LG Seesen in den 80-er Jahren gar nicht bewusst, dass es dieses Problem überhaupt gab. Wir liefen im Frühjahr oft vier 25 km-Läufe, zwei Marathons und diverse 10-er. Mehr als die Hälfte davon waren Meisterschaften. Cross, 25 km, 10 km und diverser Kleinmist.
Alles verteilt auf Bezirks-, Landes-, Regional-, und Deutsche-Meisterschaften. Und weil wir nicht zu den Kreismeisterschaften kamen, beschimpften uns die Veranstalter auch noch als hochnäsig.
Da kannst du dir sicher vorstellen, wie dicht diese Rennen bei einander lagen und wie oft wir auch eine Woche vor einem Marathon noch ein Meisterschaftsrennen laufen "mussten". Bei den 42,2 km-Rennen kam dann raus, was raus kommen konnte. Niemand machte sich Gedanken darüber, welches Resultat denn herausgeschaut hätte, wenn die Vorbereitung effektiver gewesen wäre.
Erkenntnis aus Sydney
Aber es gab den Tag, an dem mir die Augen geöffnet wurden. Im Juni 1984 lief ich einen Marathon in Sydney. Es kam nicht viel dabei heraus, nur eine Zeit knapp unter 2:30 h. Meine Form war nicht mehr da und die Strecke war unter aller Sau, verglichen mit den hiesigen Stadtmarathons.
Zwei Tage nach dem Marathon las ich dann in einer der örtlichen Zeitung ein Interview mit dem australischen Langstrecken-Nationaltrainer. Dieser hatte die Resultate des Sydney-Marathons analysiert und diese verglichen mit der 14 Tage vorher stattgefundenen Australischen Halbmarathon-Meisterschaft.
Und zwar stellte er gegenüber die besten australischen Läufer in dem Marathon, von denen ungefähr die Hälfte auch an der Halbmarathon-Meisterschaft teilgenommen hatten und jenen, die nicht bei diesen Titelkämpfen waren. Hinzu zog er noch die Marathonbestzeiten dieser Läufer.
Und das Resultat war eindeutig. Die Läufer, die an den HM-Meisterschaft teilgenommen hatten, schnitten im Durchschnitt deutlich schlechter ab, als die, die sich dieses Rennen 14 Tage vorher gespart hatten.
Noch interessanter war der Vergleich zu den persönlichen Rekorden dieser Läufergruppe. Hier zeigte es sich noch klarer, dass die Meisterschaftsläufer im Schnitt erheblich weiter von ihren Bestzeiten entfernt finishten, als die ohne HM 14 Tage vorher.
Schlechtere Leistung durch Halbmarathon
Und erst von diesem Moment an begann ich, die Situationen unserer eigenen Marathonvorbereitung zu überdenken. Das Resultat ergab auch ein klares Bild: Wenn wir 14 Tage vor dem Marathon einen 25-er liefen, kam es über die 42,2 km kaum jemals zu einem persönlichen Rekord. Obwohl es durchaus Ausnahmen gab, aber die waren wirklich ganz selten.
Gerade aktuell gab es in Szene der deutschen Spitzenläufer Beispiele, wo zwischen Marathon und Halbmarathon auch nur 14 Tage lagen. Falk Czierpinski starte zusammen mit Tobias Sauter bei der Deutschen Halbmarathon-Meisterschaft in Bad Liebenzell. Tobias belegte mit 1:06:06 h den dritten Rang. Falk stieg mit gesundheitlichen Problemen aus.
14 Tage später liefen beide in Düsseldorf Marathon. Falk lief mit 2:17 h zwar eine deutsche Marathon-Jahresbestzeit, aber blieb 4 min über seinem persönlichen Rekord. Neutral betrachtet ist das ein sehr mäßiges Ergebnis. Tobias Sauter kam nur bis km 10 und stieg aus.
Ich sollte natürlich nicht verschweigen, dass beide im Vorfeld gesundheitliche Probleme hatten. In diesem Sinne fällt mir nur ein: Es ist niemals der große Fehler, der ein mieses Wettkampfresultat produziert, sondern die vielen kleinen, die man vor dem Start und im Rennen gemacht hat.
Dazu gehören natürlich auch die kleinen Schwächen des Körpers. Wenn es an einer Stelle zwickt, dann steckst du es weg, aber wenn schon morgens beim Aufstehen von ungezählten Stellen aus die Schmerzen durch deinen Körper fluten, dann erlahmt deine Kampfkraft.
Rennrhythmus falsch, jede Menge Zipperlein und mäßig motiviert, dann bleibt die Aussage über das Resultat meist ziemlich introvertiert.