Dieser Artikel ist in leicht abgeänderter Form schon im Greif Newsletter vom 07.12.2004 erschienen.

Einflüsse auf die Genauigkeit der Pulsmessung bei Lauftraining

Herzklopfen ist eigentlich nur das gemeine Lebenszeichen unseres Herzens. Diesem Zeichen widmen wir Läufer(innen) aber sehr viel Aufmerksamkeit und nennen es Puls. Dieser wird, wie der Jargon es ausdrückt, mit dem Pulser gemessen. Ich schätze so gut zweidrittel aller Läufer(innen) tragen solch einen Herzfrequenz-Monitor (Mediziner-Jargon). Die meisten von ihnen setzen den Pulser auch sinnvoll ein, andere aber werden zu fetischistoiden Pulser-Gläubigen. Manchmal ist der Glaube an die Wirksamkeit des Trainings nach Puls groß, in unserem Club ist er stark eingeschränkt, weil ich immer wieder darauf hinweise, dass das wichtigste die Zeit im Training ist.

Wir haben bei uns im Lauftreff jemanden, der wohl 33% von anderthalb Büchern über Training nach Puls gelesen hat.

Damit hat er die Sache verstanden, ist davon überzeugt und ist nun auch in der Lage, seine Weisheiten dem allgemeinen Lauftreff-Umfeld zu vermitteln. Meint er! Seine Drohungen mit nicht wieder gut zu machenden Folgen durch ein Ignorieren der Pulsanzeige sind schon Legende. Die Monologe dieses guten Mannes, denn er handelt ja in bester Absicht, hängen noch Stunden später bedeutungsschwanger in den Zweigen der Fichten an unseren Harzer-Trainingsstrecken.

Nur leider hängen dort auch meine stummen Schreie ob der Tumbheit seiner Worte. Ihr ist eine völlige Kritiklosigkeit zu eigen, die auch durch zitierte Industrie-Werbesprüche nicht besser wird. Der Flachgang dieser Worte ist nicht zu übertreffen, meine Ohren schmerzen, meine Seele weint und da ich während des Trainings, wegen augenblicklichem deutlichen Übergewichts, auch nicht diskutieren kann, bleibt mir nur ein hechelnd ausgestoßenes: "Blödmann!"

Nur wenige beten den Götzen Pulsmessung in einer derartigen Weise an. Aber weit verbreitet ist doch der Glaube an die allgegenwärtige Genauigkeit der Herzfrequenzmessung mittels Pulsuhr. Nun ist Glauben zwar auch eine Herzensangelegenheit, aber nun leider nicht mit handfesten Fakten zu belegen. Fakten liefert der Pulser auch, aber keine handfesten. Pulsmessung ist ein Grobparameter (-hilfsgröße). Und diese Grobheit ist eigentlich das, was die Sache so heikel macht.

Obwohl die Pulsmessung seit ewigen Zeiten schon Thema bei uns im Club ist, muss ich immer wieder folgenden Satz hören oder lesen: "Ich komme gut mit dem Plan zurecht, aber die Pulswerte stimmen hinten und vorne nicht." Meine Nachfrage ist dann: "Wie liegen sie denn?" "Wenn Du schreibst, bei 5:25 min/km soll ich 137-145 Puls haben, komme ich auf 146 - 152." "Na prima, dann hast Du es ja genau getroffen!"

Wenn Du mit Deiner aktuellen Leistungsfähigkeit nicht weiter als eine Minute von Deiner aktuellen Zielzeit entfernt bist, geht die Trainings-Tempo-Steuerung über die Zeitmessung vor der Pulsmessung.

Realistisch betrachtet ist die enge Angabe eines Trainingsbereichs nach Herzfrequenz gar nicht möglich. Warum? Probiere es einmal selbst aus. Laufe morgens und abends auf der selben Strecke das gleiche Tempo. In der Regel ist der Morgenpuls aber um 10 Schläge höher als der Abendpuls. Kann aber auch umkehrt sein, nur gleich ist er selten. Halten wir fest: Ungenauigkeit bis 10 Schläge.

Wenn Du die Möglichkeit hast, prüfe einmal ab, wieviel Herzschläge der Unterschied zwischen einem Lauf in kurzer Hose und T-Shirt im Gegensatz zum einem Training in dicken Winterklamotten ist. Du wirst feststellen, das der Herzpreis für eine Wintertight, eine Unterhose, ein Thermo-Shirt, einen Laufpullover und eine Winterjacke samt Lauf-Mütze und Handschuhen mindestens 5 Herzschläge beträgt. Nicht teuer, aber es läppert sich. Jetzt sind wir schon bei 15 Herzdurchläufen. Ist es dazu noch eiskalt, Dein Gesicht wird schön rot, kommen noch mal mindestens drei Herzklopferchen auf das Konto. Jetzt sind wir schon bei 18.

Noch schöner wird es im umgekehrten Falle, wenn es richtig heiß und die Luft dazu schön feucht ist. Du schwitzt wie das sprichwörtliche Borstentier und wirfst einen Blick auf den Pulser und erschrickst: "6:15 min/km und 156 auf der Uhr, das Ding ist kaputt oder ist hier eine Hochspannungsleitung?" Ist sie meist nicht, dann die Thermoregulation (Mediziner-Jargon) kostet bis zu 15 Pulsschläge. Wo stehen wir jetzt mit unserem Ungenauigkeitskonto? Die 3 Schläge wegen Eiseskälte, müssen wir wieder abziehen, denn die gehören auch zur Thermoregulation, dann sind wir in einem Ungenauigkeitsbereich von 30 Herzmuskelfrequenzen.

Es wird Dir nicht schwer fallen, Dir vorzustellen, dass ein Trainingsplan im Moment seiner schriftlichen Darlegung nicht wissen kann, unter welchen Umständen nun aus Druckerschwärze Läuferschweiß wird. So kannst Du sicher auch verstehen, warum mir das Beklagen einer siebenpünktigen Ungenauigkeit von Pulsangaben im Trainingsplan so auf die Nerven geht.

Wenn Du nach Puls trainierst, kann ich Dir nur empfehlen, diesen nur als Beigabe-Information zu nutzen. Halte Dir jeden Tag wieder vor Augen, das sich Deine Trainingsleistung nur sauber in der Laufzeit auf einer festgelegten Streckenlänge widerspiegelt. Die Anzahl der Herzschläge auf dieser Strecke gibt aber die Gesamtbelastung des Organismus wieder und nicht allein die der Laufleistung.

Ich habe sogar den begründeten Verdacht, dass gerade die Leute, die am intensivsten auf den Pulser schauen, sich leistungsmäßig eher schleichend oder gar nicht entwickeln.

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