Das Ziel: Die Strategie entscheidet über den Erfolg (Seite 137-140)
Beherrsche deine Zeit
Damit du vergleichbare Schmerzen nicht erleidest, halte dich an diese Zeilen: Wenn der Startschuss erfolgt ist, so denke erstens nur eines: Beherrschung! Und zweitens: Vorsichtig angehen. Du bist so voller Adrenalin, dass du losrasen, mit den Assen mitstürmen und die Sterne vom Himmel holen könntest. Du hast absolut keine Schwierigkeiten, den ersten Kilometer kurz oberhalb deiner 1.000-m-Bestzeit zu laufen. Nur befindest du dich dann voll innerhalb der anaeroben Phase der Energiegewinnung. Schon in diesem Moment ist dein Misserfolg programmiert.
Denn die anaerobe Energiegewinnung erfordert etwa fünfmal so viel von deinem Speicherstoff Glykogen als das Laufen im Sauerstoffausgleich. Es ist zwar eine Milchmädchenrechnung und stimmt nicht 100 %ig, aber zur Verdeutlichung mag es dir dienen: Dieser eine, viel zu schnelle Kilometer in der Sauerstoffschuld gelaufen, verbraucht so viel Energie wie 5 km im angepassten Tempo. Wenn du dann bei km 37 gehen musst, dann kannst du einmal prüfend zurückschauen, wo denn nun deine Kraft geblieben ist. Darum handele in der Startphase intelligent: Lass alle laufen, die normalerweise hinter dir sind. Kümmere dich nicht um das Tempo deines besten Kumpels. Und wenn dich eine Dame überholt, nimm es leicht, du wirst sie alle vor dem Ziel wiedersehen und mit lockerem Fuß an ihnen vorbeiziehen.
Noch ein gefährlicher Stolperstein!
Es gibt noch einen weiteren ganz wichtigen Effekt. Um ein Marathonrennen erfolgreich zu beenden, genügt nicht allein der Kohlenhydratstoffwechsel. Wir brauchen dazu auch unseren Fettstoffwechsel. Oder anders gesagt: Der Fettstoffwechsel streckt den Glykogenstoffwechsel. Das schnelle Starten auf dem ersten Kilometer im anaeroben Bereich bewirkt eine Ausschüttung von Laktat ins Blut. Der erhöhte Laktatwert verhindert das optimale Anlaufen der Fettverbrennung (Acidose hemmt Lipolyse). Zerstör daher nicht auf den ersten 1.000 m deines Rennens alle Arbeit der Vorwochen, sondern laufe mit Verstand los und Zügel deinen inneren Tiger.
Faustregel; In der Anfangsphase eines Marathons musst du ständig das Gefühl haben, schneller laufen zu können. Das heißt, du musst dich bremsen, bremsen und noch einmal bremsen.
Aus der Praxis; "Wenn ich so die Summe der einzelnen Marathonläufe der Läufer meines Clubs betrachte, muss ich leider feststellen, dass etwas mehr als 60 % das Rennen zu schnell begonnen haben und den Lauf nicht mit dem bestmöglichen Resultat beendeten. Ich schließe mich dabei selbst auch nicht aus. Mit mir gingen manchmal auch „die Pferde durch“. In diesem Rahmen kann man natürlich nicht die Siegläufer betrachten. Bei denen herrschen andere Gesetze…"
Der Siegläufer muss sich nach den Mitgliedern der Spitzengruppe orientieren, in der er läuft. Dies erfordert ganz andere taktische Maßnahmen als ein Rennen nur gegen die Uhr. Da nun aber fast alle Marathonläufer außer einem zu den „Verlierern“ zählen, verzichte ich hier, darauf einzugehen. Es würde einfach den Umfang dieser Arbeit sprengen.
Starte langsam
Wie oben schon beschrieben, verfährst du mit der Zeiteinteilung am besten so, dass du bis km 15, 3 sec langsamer als die geplante Durchschnittszeit läufst. Wenn du DEINEN Tag hast, dann läufst du dich ab diesem Punkt in die Phase des Hochgefühls.
Jetzt ist das Rennen am schönsten. Es hat so zwischen 40 und 100 min gedauert, bis alle deine Systeme auf Hochtouren liefen. Jetzt bist du glücklich. Dein durch Endorphine - das sind körpereigene Opiate - in einen Rauschzustand versetzter Geist saukelt dir unglaubliche Leistungsfähigkeit vor. Du scheinst zu schweben, alles, was vorher so hart war, so an deinen Kräften zehrte, fließt dir jetzt so einfach zu. Du könntest sie alle wegwischen, niedermachen, deine Kraft scheint unendlich. Genieße diesen Zustand. Er ist der Lohn für dein hartes Training. Leicht läufst du an den anderen vorbei, die wild mit den Armen rudern, als könnten sie vorwärtsschwimmen, vorbei an den keuchenden Lokomotiven, bei denen man Angst hat, dass man sie gleich reanimieren muss, vorbei an allen Läufern und direkt hinein ins Läuferglück.
Energie sparen!
In der Tat, du kannst jetzt etwas schneller laufen. 4 sec/km sind jetzt nach 15 km langsamerem Tempo locker drin. Deine Muskeln sind elastisch, die Koordination ist optimal und dein Stoffwechsel läuft auf Hochtouren, sodass du alles in allem bei dem etwas schnelleren Tempo nicht mehr Energie verbrauchst als vorher bei dem langsameren. Aber bleib verhalten, zieh das Tempo nur ganz langsam hoch. Spüre das Schnurren deiner Muskelfasern, wenn du sie langsam und gleichmäßig zu neuem Tempo hochschraubst. Mach um Himmels willen nicht den Fehler, jetzt zu sprinten, wenn du Holger Meier 100 m vor dir sehen solltest. Keep cool. Diese Lücke brauchst du nicht sofort schließen. Denke daran, dass du noch eine Unmenge Zeit hast, dieses Loch zuzulaufen. Es reicht aus, wenn du ihn nach 5 km hast. Lücken werden niemals ruckartig geschlossen, immer langsam und gleitend. Dein vordringliches Ziel muss sein: Energie sparen. Und das kannst du nur, wenn du rhythmisch und gleichmäßig läufst.
Faustregel; Sei Autist. Lauf dein eigenes Tempo, ungeachtet der anderen Läufer. Es interessiert dich nicht, ob Holger vor dir oder hinter dir läuft. Du läufst dein eigenes Tempo und nicht seins. Punkt. Schluss. Aus. Wem willst du auch schon damit imponieren, wenn du 100 m Abstand auf 1 km zumachst. Deinem Gegner nicht, der sieht dich erst, wenn du neben ihm bist, und nimmt im Zweifelsfall an, dass du schon über eine längere Zeit am Ende seiner Gruppe gelaufen bist.