Das Ziel: Die Strategie entscheidet über den Erfolg (Seite 135-137)
Der Traum von einem idealen Rennen
Nun zu dem eigentlichen Lauf. Vor dem Start hast du dir sicher überlegt, wie schnell du laufen willst. Ich weiß, dass alle Marathonläufer zwei Zeiten im Kopf haben. Die, die sie wirklich laufen können, und die Traumzeit, die es zu erringen gibt, wenn alles stimmt: Für die meisten Läufer stimmt alles, wenn:
- die Strecke keinen Meter Steigung aufweist,
- der Wind nicht weht oder nur von hinten,
- die Temperatur nicht 14,3, sondern 14,7 Grad beträgt,
- das Gewicht möglichst wieder so ist wie zum Zeitpunkt deiner Konfirmation,
- die Muskeln so locker wie am Anfang des zweiten Lebensjahrzehnts.
- Der Kohlenhydratanteil der Vorwettkampfernährung sollte 112 % betragen.
- Dass Mond und Sterne in der richtigen Konstellation stehen müssen, versteht sich von selbst.
- Selbstverständlich darf die schwarze Katze vom Nachbarn in der Vorbereitungszeit die Straße nicht von links nach rechts überqueren.
- Am Start muss richtig Stimmung sein. Richtig viel los, aber nach drei Zehntel
Sekunden muss die Linie überschritten sein. - An jedem Kilometer eine Verpflegungsstelle und ständiger Zuspruch eines psychologisch geschulten Vereinskameraden sind grundsätzlich Voraussetzung.
- Die Schuhe müssen gleichzeitig hart und weich sein und der Straßenbelag gebügelt.
Sicher fallen dir noch viele weitere Argumente ein. Ja, wenn das alles zusammenkommt, dann klappt es auch zu 100%. Oder nicht? Denn bedenke: Holger Meier kann dir immer noch die Schnürbänder angesägt haben! Trenn dich von der Idee, dass es ein Rennen mit idealen Bedingungen wird. Irgendetwas läuft immer anders als in deiner Vorstellung, Lass dich davon nicht verunsichern. Die Bedingungen sind für alle gleich, da hilft nur Zähne knirschen, Fäuste ballen und ab durch die Mitte.
Die realistische Zeit
Besser ist dann schon, du wählst die realistische Zeit, die du ja meist ziemlich sicher im Kopf hast. Ich empfehle meinen Athleten immer, den ersten Marathon im Jahr erst einmal auf Nummer sicher zu laufen. Dann haben sie spater auch eine Zeit, auf die sie bauen können. Mit der Erfahrung des ersten Rennens im Rücken, dem besseren Gefühl für Tempo und Wettkampf ist es viel leichter, die nächsten 42,2 km schneller zu laufen und ein höheres Risiko einzugehen. Denn einmal musst du auch mal etwas riskieren, mal "auf die Pauke hauen" und deine Grenzen erforschen. Vielleicht geht es gut. Doch hier möchte ich nur ein Rennen beschreiben, welches ob seiner Gestaltung den größtmöglichen Erfolg mit dem geringsten Risiko bringt.
Die Tempoeinteilung
Wenn es um die Gestaltung des Tempos im Rennen geht, zeigt meine Erfahrung, dass die meisten Athleten ihre Leistungsmöglichkeiten richtig einschätzen können.
Bloß mit dem Umsetzen hapert es. Da wird sich ganz fest vorgenommen, die ersten 5.000 m in 22 min anzugehen. Und am Ziel des wieder vergurkten Rennens heißt es dann: "Mann, ich war so locker und es lief so gut, ich habe gar nicht gemerkt, dass ich so schnell war. Aber bei 20 km, da hatte ich schon Probleme. Ich wurde immer langsamer, und dann habe ich mich nur noch gequält." Quälen musst du dich immer. Du kannst dir ruhig abschminken, jemals locker einen neuen Hausrekord zu erzielen. Du musst, wenn du Erfolg haben willst, immer an der Grenze deiner Leistungsfähigkeit laufen. Wenn diese steigt, wirst du nur schneller, der Schmerz aber nie kleiner.
Welches Renntempo?
Wie soll denn nun das Tempoverhalten im Wettkampf aussehen? Es hat sich in den Jahren eine Taktik herausgeschält, die sich sehr bewährt hat und eigentlich auch bei den zeitlich erfolgreichen Marathonläufen dieser Welt angewandt wird. Als Erstes lege deine Durchschnittsgeschwindigkeit pro Kilometer fest, die du anpeilst. Dann läufst du;
von km 1 bis 15: 3 sec langsamer als der geplante Schnitt und
von km 15 bis 25: 4 sec schneller als der geplante Schnitt
ab km 25: kann das Körpergefühl die alleinige Steuerung übernehmen.
Heraus kommt dabei, dass die zweite Hälfte schneller gelaufen wird als die erste. Besser kann es gar nicht sein, weil das Auf- und Überholen auf dem zweiten Streckenabschnitt eines der motivierendsten Dinge ist, welches einem im Marathon passieren kann.
Du kannst dir auf unserer Webseite auch einen Taktikplan mit einer individuellen Zeit ausdrucken lassen: Marathon Taktik-Rechner
So bitte nicht!
Das blödeste Verfahren - von Tausenden immer wieder angewandt - ist das, was nach dem Motto abgeht: Was ich habe, das habe ich. Damit wird das schnelle, in der Regel zu schnelle Angehen auf der ersten Streckenhälfte beschrieben. Jedes andere Rennen kann man mal zu schnell angehen, nur nicht das über die 42,2 km. Das gibt so harte und schmerzhafte Strafen, wie sie im Sport eigentlich so nirgendwo in ähnlicher Intensität vorkommen. Wer schon einmal nach 30 km völlig leer war und sich noch bis zum Ziel schleppen musste, weiß, wovon ich rede.
Aus der Praxis; "Der mehrfache Hawaii-Ironman-Sieger Mark Allen hat das in seinem Lebenslauf einmal sehr anschaulich beschrieben. Er hatte einmal versucht, beim Berlin-Marathon einen Solomarathon mit Plan auf 2:27 h zu laufen. Daran scheiterte er schmählich, er stieg schon vor km 30 aus. Er meinte dazu, dass ein Marathon im Triathlon nicht mit einem Solomarathon zu vergleichen sei. Im Triathlon ginge es dabei nur um das Durchhaltevermögen im aeroben Leistungsbereich. Im Solomarathon werde hingegen das absolut höchstmögliche Dauerlauftempo vom Anfang bis zum Ende gelaufen. Das geht bis 25 km ganz gut, meinte Allen, aber danach wird es einfach grausam, dann drehe es sich nicht mehr allein um das Laufen, sondern hauptsächlich um das eigene Schmerzmanagement. So beschloss Mark Allen dann auch, niemals wieder einen Solomarathon zu laufen. Bis heute hat er sich an diesen Beschluss gehalten."