Der Kalender zeigt Dezember, und die Laufszene teilt sich in zwei Lager: Die einen genießen Plätzchen und Glühwein und verfallen in die wohlverdiente Winterpause. Die anderen? Die ziehen bereits die Umfänge an. Aussagen wie: „Ich habe gerade erst die Saison beendet, soll ich jetzt schon wieder mit dieser Quälerei anfangen? Mein Ziel ist doch erst im April!“ hören wir ständig. Und ja, es ist verständlich. Die Verlockungen der Weihnachtszeit sind groß. Wer möchte schon eine 30-Kilometer-Einheit absolvieren, wenn die Weihnachtsmärkte rufen und das Sofa im Wohnzimmer so bequem ist?
Die psychologische Hürde und der Holger-Faktor
Ganz ehrlich: Früher war das auch die größte Überwindung. Die Vorstellung, an einem Samstag kurz nach dem Mittag loszulaufen, nur um vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause zu sein, war deprimierend. Die ersten wirklich langen Läufe im Dezember sind hart. Du kämpfst gegen die ungewohnte Kälte, die Trägheit und die fehlende Motivation.
Du erinnerst dich vielleicht an die frühen Läufe, bei denen man an Steigungen gehen musste, und plötzlich, im Winter, der Durst zuschlug, obwohl man im Sommer problemlos ohne Flüssigkeit 35 km bei 680 Höhenmetern absolvierte.
Ältere Erkenntnis: "An Essen und Trinken dachten wir überhaupt niemals!"
Wichtige neuere Erkenntnis: "Dieses Vorgehen war riskant und kontraproduktiv!" Die moderne Sporternährung belegt: Selbst im Winter und bei vermeintlich geringer Hitze ist die Aufnahme von Kohlenhydraten und Elektrolyten während langer Läufe über 90 Minuten absolut entscheidend. Nur mit ausreichend gefüllten Glykogenspeichern kann dein Körper die gewünschte Anpassung (Fettstoffwechsel, Muskelschutz) optimal erreichen. Unterzuckerung und Dehydratation minimieren den Trainingsnutzen.
Die gute Nachricht: "Nach zwei bis drei Überwindungen gewöhnst du dich wieder an die Distanz. Aber es erfordert einen eisernen Willen und ein klares Ziel, um mehr als nur gemütliche 20 Kilometer zu laufen."
Progression: Nicht quälen, sondern klug adaptieren!
Anstatt sieben Wochen lang jeden Kilometer ungewohnten Schmerz zu ertragen, ist die 3-Wochen-Version (schnelle Steigerung, gefolgt von Reduktion) für die Psyche und Physis oft effektiver – vorausgesetzt, du hast eine solide Basis. Nutze diese frühe Phase, um die Trägheit abzuschütteln. Denke an deine Konkurrenz, die Olgas und Holgers dieser Welt, die bereits seit Wochen im vollen Training stehen.
Lass dich nicht täuschen: Der Holger, der dir vorgaukelt, erst im Februar richtig loszulegen, wartet nur darauf, dich im ersten Frühjahrsrennen gnadenlos zu deklassieren. Die ehrliche Motivation ist klar: Wir wollen vor ihnen im Ziel sein!
Die Notwendigkeit der 35-Kilometer-Marke
Es ist wissenschaftlich unbestritten: Um auf der Marathondistanz dein volles Leistungspotenzial abzurufen und die letzten Kilometer nicht zu "überleben", sind wirklich lange Läufe im Training unerlässlich. Wer keine 35 km oder zumindest 3 bis 3,5 Stunden Zeit auf den Beinen im Training absolviert hat, wird im Rennen niemals das abrufen können, was in ihm steckt.
Für Läufer, deren Ziel ausschließlich das Ankommen ist (also keine spezifische Zeit), können 30 km als längste Einheit zunächst ausreichen. Aber Vorsicht: Eine solche "Schon-Vorbereitung" erhöht die Gefahr, dass der Körper im Rennen an seine absoluten Belastungsgrenzen stößt, was das Risiko von Überlastungsschäden im Wettkampf massiv erhöht.
Orthopädie-Mythos vs. Neuere Erkenntnisse
Oft hört man warnende Stimmen – vor allem von Laienpresse und manchen Ärzten – dass gerade die 35-km-Läufe schwere orthopädische Schäden verursachen. Die Sorge ist: Die 4-Stunden-Läufer sind zu lange unterwegs und schädigen ihren Knorpel.
Aktuelle Sportmedizinische Fakten:
Lasse dich daher nicht von Pauschalwarnungen beeinflussen. Erhöhe deinen Trainingsumfang kontinuierlich und schrittweise. Starte mit kürzeren Wettkämpfen (10 km, Halbmarathon) und arbeite dich dann zur vollen Marathondistanz vor.
Gerade im Bereich der Sportorthopädie existiert viel Halbwissen. Denke daran: Die meisten orthopädischen Ärzte sind keine Experten für Marathon-Training. Eine falsche Behandlungsempfehlung, wie die oft zitierte Empfehlung, bei Plantarfasziitis (Fersensporn) nur auf weichem Waldboden zu laufen, ist oft kontraproduktiv. Für die Heilung von Sehnenentzündungen ist in der Regel gerade ein fester, glatter Untergrund (wie Asphalt) in Verbindung mit gezielten Kräftigungsübungen der bessere Ansatz.
Gib deinem Körper die Zeit, die er braucht, aber starte früh und sei konsequent – so besiegst du nicht nur Holger, sondern erreichst auch dein volles Potenzial.
Foto: Veranstalter Zürich Marathon